Rundbrief 28.04.2024

Link zum Rundbrief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Die ukrainische Regierung hatte der Bevölkerung angekündigt, dass 2024 ein sehr schwieriges Jahr würde. Das war keine Übertreibung. Vor allem in den front- und grenznahen Gebieten ist in den vergangenen Wochen ein Gefühl der kompletten Schutzlosigkeit gegenüber dem russischen Raketen- und Bombenterror aufgekommen. Besonders niederträchtig ist eine neue Taktik der Russen, einen Stadtteil ein zweites Mal mit Raketen zu beschiessen, wenn gerade die Rettung und Feuerwehr nach den ersten Treffern im Einsatz ist. Niemand kann derzeit mit Sicherheit sagen, ob es noch schlimmer wird. Sicher ist schon jetzt, dass die landesweite Stromversorgung nach den massiven Zerstörungen der vergangenen Wochen im nächsten Winter bei weitem nicht ausreichen wird.
Für die Soldaten, die schon seit über zwei Jahren an der Front sind, ist es eine herbe Enttäuschung, dass die soeben beschlossene Reform des Rekrutierungsgesetzes keine Fristen für die Demobilisierung vorsieht, wie ursprünglich angekündigt. Nicht alle sind dem lange anhaltenden psychischen Druck gewachsen. Ob die angekündigten Waffenlieferungen aus den USA, aus Tschechien und anderen Ländern bis zum Sommer ausreichen werden um den Spiess umzudrehen, lässt sich für uns Laien nicht absehen. Eindeutig ist, dass sie spät, sehr spät eintreffen. Die beschlossene verstärkte Mobilisierung verpflichtet alle Männer im wehrpflichtigen Alter von 18 bis 60 Jahren sich erneut bei den Rekrutierungsstellen zu melden. Das Mindestalter für eine Einberufung wurde von 27 auf 25 Jahre heruntergesetzt.  Ohne gültige Dokumente von der Armee dürfen Männer im wehrpflichtigen Alter nicht mehr Autofahren. Auch die zahlreichen wehrpflichtigen Ukrainer im Ausland könnten bald Schwierigkeiten bekommen, da ihre Reisepässe und andere Dokumente ohne gültiges Dokument vom Wehrkommissariat von den Konsulaten laut dem neuen Gesetz nicht verlängert werden (darüber gibt es widersprüchliche Informationen). All das klingt vielleicht nach Repression. Aber die Männer an der Front wünschen sich natürlich nichts sehnlicher, als Verstärkung und im besten Fall ihre Demobilisierung. Niemand will kapitulieren. Aber alle wollen leben.
Redaktion: Jürgen Kräftner, Longo mai, NeSTU-Ukraine

Dieses Bild stammt aus einem Sammelband "Wartime Posters", den unsere Freunde in Zaporizhia kürzlich herausgegeben haben. Autor: Nikita Titov.


In diesem Rundbrief:

  • Unser Schwerpunktthema sind zwei Initiativen zugunsten der ukrainischen Kinder und Teenager, geflüchtet, terrorisiert und häufig auch alleingelassen:

  • Mariya Surzhenko berichtet eindrücklich vom dieses Jahr bereits zweiten Art-Camp von Base_UA in Drahobrat.

  • Im Interview mit Tatiana (Tanja) Belousova erfahren wir von einer neuen Initiative in Nyzhne Selyshche. Im Jugendgästehaus Sargo Rigo soll kommenden Juni ein erstes Jugendlager in Eigenregie stattfinden. NeSTU hat ein Teambildungs-Seminar unterstützt, dass dort Anfang April 17 Freiwillige vereint hat.

  • Anstelle eines Berichts von unserer Jahresversammlung hier gleich ein Resultat. Unser neues Vorstandsmitglied Michael Roffler aus Winterthur sammelt in einem extra dafür angeschafften Container dringend benötigtes medizinisches Material und kümmert sich um dessen Transfer in die Ukraine. Ansprechpartner dort ist in erster Linie das CAMZ in Uzhhorod.

  • Die Hudaki Village Band kommt Ende Mai und im Juni wieder in die Schweiz. Konzerte in Brugg AG Fr 31.5., St. Gallen Fr 7.6., Schwyz Sa 8.6. und Wintersingen BL 9.6., sowie in Saignelégier JU am 29.6. Details unter www.hudakivillageband.com

  • Zur Erinnerung: Wir haben Sets von sechs Grusskarten mit Zeichnungen von ukrainischen Kriegskindern, zusammen mit den passenden Kuverts, die Sie für 20 Franken bei unserer Geschäftsstelle bestellen können. Der Erlös geht in Jugendprojekte in der Ukraine, siehe unten.

  • Eine Leseempfehlung (in englischer Sprache): der Artikel von Nataliya Gumenyuk in Foreign Affairs gibt einen umfassenden und nuancierten Überblick über die Herausforderungen, vor denen die Ukraine im dritten Kriegsjahr steht. 

Aufruf zur Unterstützung von Jugendprojekten in der Ukraine
NeSTU engagiert sich vorwiegend an Seiten von Initiativen, die kriegstraumatisierten Jugendlichen in der Ukraine zugute kommen, in diesem Rundbrief berichten wir ausführlich darüber. Wir suchen nunmehr auch Unterstützung von Stiftungen und anderen Institutionen, sind aber weiterhin sehr auf private Spenden angewiesen. Bitte leiten Sie diesen Aufruf gerne weiter und wer die Möglichkeit hat - wir sind dankbar über jede Summe!

Spendenkonto:
Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2

Eine neue Initiative im Jugendgästehaus Sargo Rigo in Nyzhne Selyshche
Interview mit Tanja Belousova
Tanja, 40 Jahre, Theaterpädagogin, lebt seit 2005 in Nyzhne Selyshche und hat hier seither hunderten Kindern die Welt des Theaters und anderer Formen der gemeinsamen Kreativität eröffnet. Gemeinsam mit einem Team von Longo mai und Einheimischen betreut sie auch das im Jahr 2017 eröffnete Jugendgästehaus Sargo Rigo, dessen Aufbau von NeSTU unterstützt wurde. Sargo Rigo hat schon vor dem Februar 2022 Kinder aus den Kriegsgebieten in Luhansk zur kreativen Erholung beherbergt. Zu Kriegsbeginn waren hier während fünf Monaten geflüchtete Kinder und junge Leute untergebracht.
 
Inzwischen haben Tanja und ihr Partner Slava eine 15 Monate alte Tochter, und sie möchte ihre Erfahrung in der Betreuung kriegstraumatisierter Kinder und Jugendlicher einbringen. Dabei ist sie nicht alleine: ein lokales, vierköpfiges Team hat die Initiative ergriffen: Olha von Longo mai in Nyzhne Selyshche, Viktoria aus Poltava, sie lebt mit ihrem Kind seit Kriegsbeginn in Chust und ihr Mann ist an der Front, der Videopädagoge Slava und Tanja. Anfang April haben sie potentielle MitstreiterInnen aus der ganzen Ukraine zum Kennenlernen und Planen eingeladen. Auf die Ausschreibung in den sozialen Netzwerken reagierten über 70 Personen!
Die Fotos im Beitrag stammen aus dem Seminar im Jugendgästehaus von Anfang April. 

Jürgen Kräftner: Was hat sich für die ukrainischen Kinder mit dem Krieg geändert? 
Tanja Belousova: Wir müssen unterscheiden, welche Kinder. Viele Kinder aus Transkarpatien sind im Ausland. Der Krieg hat in unserer Region die Tendenz verstärkt, dass Jugendliche und junge Erwachsene ihre Zukunft nicht innerhalb der Ukraine sehen. Die Kinder wollen nach Abschluss der Pflichtschule ins Ausland um dort zu arbeiten und zu leben. Viele junge Männer reisen aus, bevor sie wehrpflichtig werden. Ich kenne auch viele Studenten und Studentinnen, die jetzt im Ausland sind. Sie studieren online an ukrainischen Hochschulen und arbeiten gleichzeitig. Sie denken nicht an eine Rückkehr in die Heimat. Sie sehen keine Zukunft für sich im Dorf. Die Stimmung unter der Jugend hat sich verändert.
Bei den Geflüchteten aus den Kriegsgebieten, die jetzt hier leben, ist die Situation anders. Die meisten Jugendlichen, die über 12 Jahre alt sind, gehen hier nicht in die Schule. Sie lernen zuhause im Online-Unterricht ihrer früheren Schulen, die vielleicht materiell gar nicht mehr existieren, aber der Unterricht geht weiter. Sie sind damit sozial ziemlich isoliert, sie verbringen die meiste Zeit an ihren Smartphones und Computern, nicht alle haben Eltern, die für sie da sind.
Mit der Ankunft der vielen Geflüchteten haben sich in unserer Provinz auch die Angebote der Freizeitgestaltung vervielfacht. Es gibt nun alles nur Mögliche: Musik, Tanz aller Art, darstellende Kunst, Theater, Akrobatik, Privatunterricht und Nachhilfe. Wir haben viel Kontakt zu Kindern in Chust, weil wir in der Stadt auch ein kleines Jugendzentrum eröffnet haben, und die Kinder erzählen uns von diesen Angeboten. Leider ist die Qualität nicht immer so schön wie die Werbung. 

 Fotos oben: Das dreitägige Seminar diente den 13 auswärtigen und fünf  vor Ort lebenden Teilnehmern und Teilnehmerinnen zum gemeinsamen Planen, zum Kennenlernen und zum Austausch über Wünsche und Erwartungen an die gemeinsame Arbeit. Dazu gehörte auch das Kennenlernen der Umgebung, hier zum Beispiel der junge Hochstammobstgarten von Longo mai mit der Schaf- und Ziegenherde.

J.K. Wie stellt Ihr Euch die geplanten Jugendlager vor?
T.B. Wir gehen davon aus, dass alle Kinder in der Ukraine vom Krieg betroffen und auf unterschiedliche Art auch traumatisiert sind. Natürlich gibt es grosse Unterschiede zwischen Kindern, deren Familienmitglieder ums Leben gekommen sind oder deren Wohnung vollständig zerstört wurde und den Kindern zum Beispiel in unserer Region, die ein bisschen anders planen müssen, aber die nicht unmittelbar vom Krieg betroffen sind. Aber alle spüren irgendwie die Konsequenzen des Kriegs.
Unsere Jugendlager sind kein Ort der Therapie. Dafür sind sie zu kurz, und dafür sind wir auch nicht qualifiziert. Wir wollen Kindern und Jugendlichen in diesem sicheren Ort, dem Jugendgästehaus Sargo Rigo, die Gelegenheit bieten, während zehn Tagen intensiv künstlerisch tätig zu sein. Wir wollen gemeinsam ein Kunstwerk schaffen. Wir wollen das nicht als eine Art Beschäftigungstherapie mit vielen sehr unterschiedlichen Aktivitäten anbieten, sondern sehr konkret an einem gemeinsamen Projekt arbeiten, und die Kinder wissen auch schon im voraus, was auf sie zukommt.
Und natürlich wird diese Aktivität einen therapeutischen Effekt haben, und wir wollen unbedingt auch einen oder eine Psychologin in unserem Team haben. Aber wir nennen es nicht Therapie.
Psychologen erklären, wie man einem traumatisierten Menschen helfen kann. Eine gute Methode ist es, diesem Menschen die Gelegenheit zu bieten, sich einer Beschäftigung hinzugeben, die er oder sie gerne macht, aber zuletzt keine entsprechende Möglichkeit dafür hatte. In diese Richtung möchten wir arbeiten. 
Wir haben uns dazu entschieden, Kinder mit unterschiedlichen Geschichten einzuladen. Wir wollen vermeiden, zum Beispiel nur stark traumatisierte Kinder zu empfangen. Manche haben Familienmitglieder verloren, andere nicht.

Mariya Surzhenko von Base_UA (rechts im weissen T-Shirt) ist zum Seminar angereist, um von ihrer Erfahrung von bereits zehn Art-Camps mit Kriegskindern zu berichten.

J.K. Welche Eindrücke hattest Du von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen an diesem Seminar?
T.B. Es war richtig schwierig, aus den 70 Bewerbungen 13 Personen auszuwählen. Eigentlich wollten wir noch weniger TeilnehmerInnen. Ich weiss nicht, ob hier in der Ukraine einfach viele Leute tolle Kandidaturen schreiben können, oder ob es wirklich so viele motivierte und erfahrene Menschen für unser gemeinsames Projekt gibt. Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass in der Ukraine jetzt viele Leute irgend etwas Nützliches für die Gesellschaft tun wollen, ohne gleich an die Front zu gehen.
Schliesslich haben wir Leute aus der ganzen Ukraine hier gehabt, aus Sumy, Kyiv, Ivano-Frankivsk, Donetsk, Lwiw. Darunter waren Theaterleute, Choreographen, Bildende Künstler und noch andere. Sie waren zwischen 20 und 40 Jahre alt. Fast alle haben schon mit Kindern gearbeitet, zum Teil auch ganz regelmässig in eigenen Jugendlagern oder sie arbeiten an ihrem Wohnort mit Jugendgruppen. Alle sind sehr motiviert, gemeinsam diese Camps zu gestalten. Etwas schwieriger wurde es, als wir sagten, dass wir die Camps auch gemeinsam organisieren möchten, also dass wir nicht die Organisation einfach übernehmen wollen und sie in ihrem Fachgebiet sozusagen anstellen möchten. Das hat die meisten etwas überrascht. Daran haben wir drei Tage lang gearbeitet, denn wir wollen nicht die Chefs sein, die alles planen und organisieren und den Leuten sagen, was sie tun müssen. Fast alle arbeiten ja schon mit Kindern und Jugendlichen, die vom Krieg traumatisiert sind.
 
J.K. Was habt ihr also beschlossen?
T.B. Wir haben beschlossen, Camps für Kinder verschiedener Altersgruppen durchzuführen, 8 - 10 Jahre, 10 - 13 Jahre und 13 - 16 Jahre. Und als zusätzliche Variante denken wir an kleinere Kinder, die mit ihrer Mutter oder ihrem Vater zu uns kommen.
Wir planen Camps, die von der Anzahl der Kinder her in unser Gästehaus passen. Das liegt nicht nur an unseren begrenzten Beherbergungsmöglichkeiten, sondern auch daran, dass wir viel Wert auf den ganz persönlichen Kontakt legen.
Wir haben uns auf darauf geeinigt, dass wir die Camps so gestalten möchten, dass wir gemeinsam mit den Kindern am Ende ein künstlerisches Produkt zeigen können. Unsere Camps sollen zehn Tage dauern, plus zwei Tage davor und danach für die BetreuerInnen.
 
J.K. Maria Surzhenko von Base_UA hat während einem Tag an Eurem Seminar teilgenommen und von ihren Erfahrungen berichtet.
T.B. Ja, das war sehr gut für uns, und wir haben gemerkt, dass unser Ansatz sehr ähnlich ist. Sie hat uns auch in einigen sehr praktischen Fragen weitergeholfen, zum Beispiel ob wir eine Versicherung für die Kinder abschliessen müssen. Unsere Philosophie ist eigentlich deckungsgleich.
 
J. K. Und konkret, wann geht es los?
T.B. Im Juni planen wir unser erstes Camp. Das haben wir gemeinsam beschlossen, aber physisch anwesend werden nur vier oder fünf der auswärtigen Betreuer.innen sein. Das Team wird von Camp zu Camp anders zusammengesetzt sein, je nachdem, wer Zeit hat und natürlich muss das Team auch nach Kriterien der Komplementarität zusammengestellt werden. Aber wir sind auf dem guten Weg und planen in regelmässigen online-Treffen alle Details. Nicht wirklich ein Detail ist die Finanzierung, dafür sind wir auf unsere Partner im Ausland angewiesen und dankbar für jede Unterstützung.

PS des Redaktors. Nach Relektüre des Interviews schien mir etwas zu fehlen und ich habe Tanja nachträglich gefragt, was sie und das einladende Team am meisten berührt habe. Hier ist die Antwort. Es hat sich gelohnt, die Frage zu stellen.
T.B.: Das kann ich gar nicht so kurz beantworten, denn es waren sehr viele, starke Eindrücke. Am stärksten beeindruckt hat uns wohl Katharina, eine junge Musiktherapeutin aus Uzhhorod. Sie hat zwei Kinder und ist im fünften Monat schwanger. Sie hat mit uns eine Stunde lang eine Musiklektion gemacht, das war ein tolles, verblüffendes Erlebnis. Katharina ist eine unerhört positive Person, sie arbeitet sehr professionell und sie hat eine wunderbare Ausstrahlung. Sie hat uns gezeigt, wie sie mit Kindern arbeitet, mit ganz einfachen Mitteln, dem Körper, der Stimme und einfachen Perkussionsinstrumenten, aber es war für uns faszinierend, was wir unter ihrer Anleitung dabei in der kurzen Zeit alles hervorbringen konnten. Es war wirklich sehr unerwartet. Katharina wird bei unserem ersten Camp dabei sein, anschliessend wird sie wahrscheinlich während einem Jahr mit ihrem Baby beschäftigt sein. Aber wir sind sehr froh, sie in unserem Team zu haben.
Was mich persönlich sonst noch sehr positiv beeindruckt hat, und das ist nicht das erste Mal in den letzten Monaten, das ist die Einsatzbereitschaft der jungen Generation. Es waren mehrere junge Frauen, so 20, 21 Jahre alt an unserem Seminar. Sie haben schon an vielen Projekten als Freiwillige teilgenommen, sie wollen unbedingt etwas für andere tun. Zum Beispiel haben wir in unser Programm eine halbe Stunde zum Austausch über unsere Träume eingeplant. Daraus sind dann eineinhalb Stunden geworden und es war ein tolles Erlebnis. Wir haben eine sehr starke positive Energie gespürt, niemand wollte den anderen etwas aufdrängen, alle waren sehr aufmerksam. Und diese jungen Frauen haben mich dabei besonders beeindruckt, sie haben 1000 Ideen und sind voller Phantasie. Wir hatten sehr deutlich das Gefühl, dass wir hier gemeinsam etwas Neues schaffen wollen.


 

Hilfslieferungen in die Ukraine
Unser neues Vorstandsmitglied Michael Roffler hat die Initiative ergriffen: Dieser Container gehört nun NeSTU und er dient dazu, wertvolle, vor allem medizinische Hilfsgüter so lange zwischenzulagern, bis ein Sammeltransport stattfindet. Kontakt: michael.roffler@nestu.org
Der Container steht in 8404 Winterthur, Zum Park 5.
Bild unten: Nach nur wenigen Tagen hat sich schon einiges angesammelt.



Horytsvit, Art-Camp von Base_UA im vergangenen März
Ein Bericht von Mariya Surzhenko, Waldorf-Pädagogin und Mitbegründerin der Art-Camps von Base_UA


Vom 12. bis 26. März 2024 nahmen 26 Jugendliche aus dem Osten und Süden der Ukraine am Horytsvit-Kunstcamp in Drahobrat in Transkarpatien teil.
Als wir uns die Fragebögen der Teilnehmer ansahen, erkannten wir einen traurigen Trend: Die Kinder haben nicht nur ihr Zuhause und ihre gewohnte Lebensweise verloren, sondern auch ihre Freunde und einen sicheren Raum um sich auszudrücken. Viele besuchen die Schule nur noch online, sie brauchen also dringend ein lebendiges soziales Umfeld, um die für das Erwachsenwerden erforderlichen Kompetenzen zu entwickeln. Wir sahen auch viele, die in Kleinstädten und Dörfern leben und ihre kreativen Aktivitäten nicht weiterentwickeln können, da es in diesen Gebieten keine ausserschulische Angebote gibt.
Horytsvit ist ein Projekt, das ein Umfeld für den Aufbau eines gesunden sozialen Lebens und einen sicheren Raum für die Entwicklung des kreativen Potenzials schafft.
14 Tage lang hatten die Jugendlichen die Möglichkeit, sowohl persönliche als auch kollektive Beziehungen aufzubauen. Es hat uns berührt zu sehen, wie sich Freundschaften zwischen jungen Menschen mit ähnlichen Ansichten und Geschichten bildeten, deren Lebenswege sich nur aufgrund des Camps gekreuzt hatten. Diese Begegnungen führten zu warmen und prägenden Abenden mit Gedichten ukrainischer Klassiker, in der vertrauensvollen Atmosphäre überwanden die Teilnehmer ihre Schüchternheit und trugen auch ihre eigenen Gedichte vor. Ein Gefühl der Verbundenheit und Gemeinschaft entstand auch während der Gesangsstunden, als die Teilnehmer ihre Lieblingsmusik teilten, Akkorde lernten und am Feuer sangen. Wer die Jugendlichen aufmerksam beobachtet kann sehen, wie aufrichtig sich die Gefühle der Jugendlichen im Moment der Harmonie öffnen, wie sie den aufgestauten Schmerz durch Klänge und Melodien durchleben können, wie die Hoffnung in ihren Stimmen widerhallt. Und der gemeinsame Klang bestätigt nur die Bedeutung und den Wert der Erfahrung, die diese Kinder durchgemacht haben.

Foto oben: Marharyta Kurbanova (Margo, links) und Mariya Surzhenko (Mascha), die Autorin dieses Texts, während des Camps in Drahobrat

In der Bildhauerwerkstatt hatten die Jugendlichen die Gelegenheit, die Vielfalt der Interaktion mit Holz, Ton, Gips und Wachs zu erleben. Am Ende des Camps entwickelte die Gruppe ein ganzes Projekt - die Planeten des Horizons-Systems! Hoch oben an der Decke konnte man Planeten sehen, die in der Luft eingefroren waren, in verschiedenen Farben und Texturen, manchmal ähnlich wie die Erde, manchmal wie der Saturn. Aber die Teilnehmer sagten: "Das ist der Planet der Liebe! Und dies ist der Planet mit dem Codenamen Brains!" Und das Unerwartetste an diesem Projekt kann man sehen, wenn man sich die Ecke ansieht, die die Decke mit der am weitesten entfernten Wand verbindet - dort haben die Teilnehmer eine Installation mit dem Namen "Black Hole" angebracht!
Die Teenager nutzten auch Bildtechniken, um ihre Gefühle und Fantasien auszudrücken. Sie erforschten Licht und Schatten durch Kohlezeichnung, lernten die Leichtigkeit der Berührung mit Tusche kennen und schufen beeindruckende, vielschichtige Landschaften durch die Lasurtechnik mit Aquarellfarben.
In 14 Tagen schufen die Teilnehmer zwei Performances! Mit Plastizität, Körpersprache, Lichteffekten und Musik gelang es ihnen, zwei unterschiedliche Stimmungen zu vermitteln und zwei verschiedene Geschichten zu verkörpern. Aber der größte Erfolg der Theateraktion war nicht das Produkt der Kreativität selbst, sondern ihre Schöpfer - lächelnd, voller Leben, beweglich, spielerisch, fantasievoll und mutig! Sie lernten ihre eigene schöpferische Kraft und die Kraft der kreativen Zusammenarbeit kennen...
Das Camp war auch voll von Erkundungen anderer innerer Orte. Es fanden viele tiefgründige Gespräche statt, denn gerade in diesem Alter suchen Teenager nach ihren Lebensrichtlinien, fragen sich, welchen Platz sie im bestehenden System einnehmen können und was sie der Welt Neues geben können, was sie besonders macht. In den Gesprächskreisen wurde darüber diskutiert, wie Vorurteile entstehen, welche Fallen und Gefahren sie mit sich bringen; wie ausgewogen das Leben im Moment ist und ob wir uns darum kümmern, alle Lebensbereiche, die uns wichtig sind, auszufüllen; wie wir uns selbst mit Mitgefühl behandeln und in Zeiten der Prüfung unterstützen können... Und das ist nur ein kleiner Teil der Themen, die in den Gesprächen zwischen den Teilnehmern angesprochen wurden. Neben den Gesprächen wurden die Sitzungen immer von praktischem Material begleitet, das die Jugendlichen in ihrem zukünftigen Leben anwenden können.

Die frühlingshaften Berge haben uns im März etwas mehr Winterstimmung beschert, so dass das Wandern im Schnee ein besonderes Vergnügen war: Die ernsten Teenager wurden plötzlich wieder zu Kindern und fuhren auf improvisierten Rodeln die steilen Hügel hinunter, immer und immer wieder, bis sie müde und nass, aber unglaublich glücklich waren. Die Ruhe und Stille der Berge heilte uns allein durch ihre Anwesenheit. Es genügte, einen kurzen Spaziergang zu machen, um zu spüren, wie das Herz leichter wurde und sich die Brust mit einem nährenden Atemzug freier Luft füllte.
Ich könnte das Camp noch in vielen Details beschreiben, aber es reicht, sich die Verabschiedung der Kinder vor der Abreise anzusehen, um zu verstehen, was für eine wertvolle Erfahrung wir alle zusammen gemacht haben. Die Erfahrung von Vertrauen wird sich in herzlichen Umarmungen einprägen, dem Mut, sensibel und ansprechbar zu sein, in Tränen, dem Erkennen des Werts von menschlichen Beziehungen und der Unbezahlbarkeit von Menschlichkeit in offenen Bekenntnissen.

 

Im Hochstamm-Obstgarten in Nyzhne Selyshche
Unsere Nachbarinnen und Freiwillige helfen uns dabei, den vielen jungen Apfelbäumen für die warme Jahreszeit eine kleine Starthilfe zu geben. Den Baumschutz während des Hackens in Form eines längs aufgeschlitzten PVC-Rohres müssen wir patentieren lassen. Einzelne Bäume haben bereits geblüht und wir werden voraussichtlich im Herbst schon einige wenige Äpfel ernten. 

Kontakt zu NeSTU:

Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6, 6370 Stans

E-Mail: info(at)nestu.org. Natel: 078 770 23 43
Spendenkonto NeSTU:

Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2
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Jürgen Kräftner